Montag, 7. Mai 2012

Ein Beitrag zur Gitarrenmethodik

In der Ausgabe VII/1985, Heft 3 habe ich in Gitarre & Laute einen Artikel mit dem Untertitel: 
"Ein Beitrag zur Gitarrenmethodik" veröffentlicht den ich im Folgenden vorstellen möchte.

Betrachtet man die zur Zeit (1985) angebotenen Gitarrenschulen, fällt auf, dass zwischen den einzelnen, nacheinander eingeführten Bausteinen, die gutes Gitarrenspiel ausmachen, relativ große Zeitspannen liegen. Ich habe mich als junter Gitarrenlehrer auch an dieses Prinzip gehalten, weil - zumindest bei den meisten Schülern -
ein zu frühes Einführen aller Bereiche zu einem Chaos führen dürfte.

Ich möchte an dieser Stelle ein paar Zeilen aus dem "Handbuch des Musikunterrichts" zitieren: "Untersuchungen über den Einfluss der Körperstellung auf das Erleernen sensomotorischer Fertigkeiten haben gezeigt, dass sich ungünstige Stellungenen auch dann dauerhaft auf den Übungserfolg auswirken können, wenn sie nur zu Beginn des Lernens eingenommen, anschließend aber durch zweckmäßigere Haltungen ersetzt werden. Eine solche Versuchsgruppe erreicht auch später nicht den Leistungsstand der Vergleichsgruppe, die von Anfang an in physiologisch günstiger Stellung üben konnte. Dabei ist besonders bemerkenswert, das die ungünstige Körperstellung nur während der ersten Übungsminuten gegeben war. Diese Untersuchung unterstreicht die physiologische Problematik des Anfangsunterrichts und das hohe Maß an Verantwortung, das dem Lehrer hier zufällt." (J. Rutenfranz, A. Iskander: Untersuchungen über den Einfluß verschiedener Arbeits- und Übungsbedingungen in frühen Lernstadien auf das Erlernen einer einfachen sensomotorischen Leistung. Int.Z. angewandte Physiologie 27/1969, Seite 356-369)
Von daher erscheint die bislang angewandte Methode zunächst als gerechtfertigt. Indes: Wie soll man konkret vorgehen? Man kommt schnell dahinter, dass die Argumente gegen einen einseitigen Start mit freiem Anschlag (tirando) genau so berechtigt sind, wie die gegen ein einseitiges Anfangen mit angelegtem Anschlag (apoyando).
 Gleiches gilt für die Frage Lagenspiel oder erste Lage.

Obendrein stellt sich die Frage, ob ich, wenn ich mit angelegtem Anschlag anfange, den freien Anschlag wirklich nur zunächst bweiseite lasse, oder ob ich nicht vielmehrer (s.o., Zitat) eine Störung des Gefühls für den später zu erlernenden freien Anschlag unfreiwillig vorprogrammiere. Meine Erfahrungen mit eigenen Schülern, besonders aber
mit übernommenen Schülern von anderen Lehrern, die meistens eine Ausbildung im freien Anschlag betont haben, bestätigt dieses Befürchtung: Der mit angelegtem Anschlag große gewordene Schüler hat immense Schwierigkeiten mit dem Erlernen des freien Anschlages und umgekehrt (wobei meines Erachtens zweite Situation die problematischere ist). Wünschenswert wäre daher eine Lösung, die es ermöglicht, alle Ebenen fast doch fast gleichzeitig einzuführen, ohne dabei Haltungsfehler in Kauf nehmen zu müssen.

Vergleichen wir nun die Anzahl der Ebenen die ein Gitarre- bzw. ein Klavierschüler bei verschiedenen Schwierigkeitsgraden zu steuern hat, ergibt sich folgendes Bild:



Gitarre
Klavier

linke Handrechte Hand
linke
Hand
rechte
Hand
einstimmiges Spielxx2:1x (LH oder RH)
2-stimmiges Spiel
(Begl. mit Leersaiten)
xxx
(Melodie u. Bass
3:2xx
2-stimmiges Spiel
(Begl. mit gegriffenem Bass)
xx
(Melodie u. Bass)
xx
(Melodie u. Bass)
4:2xx

Bedenkt man dazu, dass ein Klavierscüler ohne weiteres jederzeit die Hände einzeln üben kann, dass die Klaviatur eindimensional ist, dass Griffbret der Gitarre dagegen zweidimensional und dass nicht zuletzt jeder Note eine Taste auf dem Klavier entspricht, wohingegen bei der Gitarre die Zuordnung nicht eindeutig ist, wird offenbar, wie problematisch der Anfangsunterricht im Fach Gitarre ist.

Ich habe nun - wohl angeregt durch ein Werk von John Dowland für eine Laute und zwei Spieler - seit November 1983 damit angefangen, es meinen Schülern wenigstens
im Unterricht zu remöglichen, jeweils eine Hand einzeln laufen zu lassen. Ich setze mich dazu hinter den Schüler und übernehme die Funktion einer Hand.
Zunächst einmal eröffnet sich dadurch für den Schüler die Möglichkeit, jeden Bewegungsablauf, jede Handstellung und jeden zu realisierenden Griff direkt und seitenrichtig abzuschauen und zu "kopieren".

Hier möchte ich einige Zeilen aus "Die linke Hand ddes Gitarristen" von Manfred Bartusch zitieren: "Wird eine Tätigkeit ca. acht mal bewusst wiederholt, entsteht im Gehirn (Formatio reticularis) ein Merkmuster (Engramm). Die Tätigkeit ist jetzt automatisiert, vermag unbewusst abzulaufen und wird nun vom Gehirn zur Muskulatur über eine
andere Nervenleitung vermittelt. Dieser Tatbestand hat außerordentlich wichtige Konsequenzen:
Ein falsch eingeübter Bewegungs ist nur schwer wieder herauszubekommen..."

Dass sich mit meiner Methode die Möglichkeit des direkten Nachmachens bei voller Konzentration auf jeweils eine Hand sehr positiv auswirkt liegt auf den Hand. So kann
ich beispielsweise ohne weiteres bereits in der ersten Stunde einen Schüler Kinderlieder (die vom Kindergarten bzw. von der Schule her bekannt sind) mit Daumenanschlag realisieren lassen: Ich greife dazu die Töne auf einer Saite und überlasse dem Schüler den Anschlag. Mit meiner rechten Hand kann ich dabei laufend die Anschlagshand
des Schülers korrigieren.
Auch mit den im weiteren Unterrichtsverlauf auftretenden Problemen (linke Hand: korrektes Aufsetzen nah am Bundstab, gebogene Finger, Doppelgriffe; rechte Hand: hohes Handgelenk, optimales Treffen der Saite, konsequenter Wechselanschlag auch bei Saitenwechsel), kommt der Schüler durch die zunächst immer wieder praktizierte Konzentration auf nur eine Hand erheblich schneller zurecht.

Ganz enorm vereinfacht wird auch die Einführung der Zweistimmigkeit. Kann ein Schüler z.B. das Lied "Ist ein Mann in´Brunn gefallen" einstimmig spielen (D-Dur, II.Lage) ist es nach Einführung des zweistimmigen Anschlags auf Leersaiten sehr schnell möglich, das Stück zweistimmig anschlagen zu lassen, am besten auswendig, damit die rechte Hand optimal kontrolliert werden kann.
Dabei lasse ich den Schüler den Bass zunächst in ganzen Noten, später in halben und schließlich in halben Noten mit Wechselbass spielen: PDF Beispiel

Ich kann so natürlich nicht alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumen, aber es geht doch unendlich einfacher und sicherer. Haltungsfehler von vorneherein auszuschließen. Entsprechendes gilt auch für die Einführung gegriffener Bässe. Ich beginne hier mit der Dezimentonleiter; zunächst der Abschnitt G h bis H d, dann - unter Hinweis auf die Analogie - der Abschnitt c e´ bis e g´ und zum Schluß der Anfang mit dem Griff F a falls ein Schüler den schon greifen kann)
Ich habe hierzu ein kleines Beispiel geschrieben: PDF Download

Bei der Einführung von Akkordzerlegungen liegt der Nutzen auf der Hand. Ist hier erst einmal eine einfache Formel (z.B. p i m a) erlernt, lassen sich zumindest im Unterricht sehr motivierende Stücke zu zweit realisieren. Kommt der Schüler mit seiner Anschlagshand zurecht (gleichzeitiges, präzises Aufsetzen der Finger, hohes Handgelenk usw.) wird die Funktion der linken Hand erarbeitet (neben den Punkten, die bereits beim Melodiespiel angesprochen wurden jetzt vor allem: kein versehentliches Berühren von am Akkord beteiligten Leersaiten). (kleines Beispiel; man kann die Griffe natürlich auch mit einer 3-stimmigen Anschlagsformel spielen, z.B. p i m bei allen Griffen auf 3 2 1):
PDF Download

Bedingt dadurch, dass ich die elementaren Fertigkeiten bei korrekter Haltung wesentlich intensiver vermitteln kann, ist es mir nun möglich, die verschiedenen Bausteine erheblich schneller gleichzeitig zu behandeln, als dies nach herkömmlichen Schulen (Stand 1985) machbar war.

Ich will nun keineswegs den Eindruck erwecken, es gäbe somit keinerlei Probleme mehr. Schließlich muß der Schüler zu Hause allein spielen (durch entsprechende Übungen läßt sich deas einhändige Spielen natürlich auch dort bis zu einem gewissenGrade durchführen). Dennoch kann ich nach mittlerweile einem Jahr praktischer Erfahrung (mittlerweile sind es gut 20 Jahre^^) sagen, dass sich meine Methode eindeutig bewährt hat. In der Zukunft möchte ich für Anfängerinnen und Anfänger soweit sich dies realisieren lässt (z.B. in Schulferien) Intensivkurse einrichten.

Ich bin der festen Überzeugung, dass sich der damit verbundene Aufwand für Schüler wie für Eltern mehr als bezahlt machen wird.